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Wovon leben die Schotten eigentlich?

Wie gut oder schlecht geht es den Schotten wirklich? Fakten über Schottlands Volkswirtschaft, die mit einigen Klischees aufräumen – und andere bestätigen.

40 Flaschen Whisky
40 Flaschen Whisky

21, 22, 23 … laut mitgezählt? Bei jeder dieser Zahl hat Schottland 40 Flaschen Whisky in die Welt verkauft. 40 Flaschen pro Sekunde!

Trotz dieses Superlativs: Viele haben ein seltsames Bild von Schottland im Kopf. Von einem Staat, der irgendwo in der Nähe der Wirtschaftsleistung Portugals oder Griechenlands liegt. Doch das ist falsch. Das moderne Schottland, stellt sich viel besser dar, ist wirtschaftlich breit und gesund aufgestellt. Aber natürlich gibt es auch hier Menschen, die keine Arbeit haben, oder mehrere Jobs annehmen müssen, um ihr Leben zu bestreiten.

Schottland hat nur etwas über fünf Millionen Einwohner. Wie kann man da eine Aussage gegenüber Staaten wie Deutschland treffen, die 80 Millionen Menschen zählen? Zum Vergleichen zieht die EU das Brutto-Inlandsprodukt pro Kopf (BIP/Kopf) heran. Und das hilft uns, die schottische Leistung besser zu verstehen. Die Daten über Export und Arbeitslosigkeit werden das Bild vervollständigen.

Eine Lachsfarm bei Tobermory

Exportschlager Nr. 1: Essen und Trinken

Natürlich führt die Sparte „Essen und Trinken“ die Exporthitliste an. Wie schon gesagt: 40 Flaschen Whisky pro Sekunde! Doch obwohl der Whisky mit rund 80 Prozent den Löwenanteil dieses Sektors einnimmt, lohnt sich auch ein Blick auf die restlichen 20 Prozent. Schottland versorgt die Welt noch mit anderen Nahrungsmitteln: Etwa mit Lachs. Das hat nichts mehr mit dem verarmten Fischer zu tun, der mit seinem Trawler ausfährt und seine Netze auswirft. Längst betreiben die Einheimischen automatische Lachsfarmen, die den Fisch züchten, füttern und schützen. Dazu kommt noch das Highland-Rind, das viele Touristen eher als Landschaftsdeko wahrnehmen, dessen Fleisch aber in immer mehr Küchen der Welt verbraten wird. Käse, Kekse und Chips sind weitere Lebensmittel, die weltweit begehrt sind.

Man sieht also: Hier ist mehr als nur Whisky im Spiel … „Essen und Trinken“ ist eine lukrative Industrie, in der fast jeder fünfte Schotte arbeitet.

Auf Platz der zwei Exportcharts folgt dann der Bereich „Chemie“ – dazu gehört auch die Erdöl-Raffinerie (nicht die Förderung!). Dieser Bereich ist fast gleichauf mit „Essen und Trinken“, also ist auch hier eine gesunde Industrie am Werk. Platz drei belegt der Dienstleistungssektor. Vier und fünf gehen an Technik und Maschinenbau.

Exportiert wird dabei übrigens nicht etwa zuerst in die EU sondern vorwiegend in die USA. Vielleicht ein Grund, warum wir diese Wirtschaftsgüter in Deutschland kaum wahrnehmen?

Job-Motor: Touristen aus aller Welt

Dudelsackspieler in Urquhart Castle

Natürlich ist eine gewisse Abhängigkeit des Landes zum Tourismus nicht zu leugnen. Immerhin arbeitet einer von zwölf arbeitsfähigen Schotten in der Reisebranche oder einem davon stark profitierenden Beruf. Möglich machen das 15 Millionen Besucher aus dem In- und Ausland jährlich, die rund 4 Milliarden Pfund im Land lassen.

Dieser Besucherstrom kommt nicht von ungefähr. Durch gezielte Maßnahmen kurbelte die Regierung die Entwicklung des Tourismus an. Immer mehr Sehenswürdigkeiten werden restauriert, immer besser die Infrastruktur, immer stärker die Werbung im Ausland – zuletzt tut Hollywood sein übriges dazu, indem es Schottlands Landschaft in Filmen wie Harry Potter oder Merida als Kulisse einsetzt.

Nordsee-Öl: Der geheime Schatz der Schotten

Die oben gezeigte Hitliste der Exportgüter trügt, denn sie enthält ein wichtiges Gut nicht: Das Öl aus der Nordsee. Es wird nicht eingerechnet, da es quasi außerhalb des Landes erwirtschaftet wird. „Offshore“ auf Öl-Plattformen.

Was wenige wissen: Schottland ist der größte Ölförderer der EU. Noch vor Norwegen. Dieser reiche Schatz aus dem Meer soll noch bis 2020 in gleicher Höhe weitersprudeln.

Spaßeshalber hat sich die Regierung Schottlands einmal die Mühe gemacht und das Erdöl mit zum BIP eingerechnet. Das Ergebnis: Schottland hätte das sechshöchste Bruttoinlands-Produkt pro Kopf weltweit – noch vor Deutschland, das dann auf Platz 14 läge. Ob diese Rechnung nun wirklich seriös ist, steht auf einem anderen Blatt. Der Reichtum, den das Öl bringt, ist aber nicht von der Hand zu weisen.

EU-Vergleich: Schottland im Mittelfeld

All das sagt noch nicht viel aus, wie sich Schottland nun gegenüber anderen Ländern etabliert. Gegenüber den Reichen und Armen in der EU zum Beispiel. Zum Einschätzen hier das BIP/Kopf einiger Länder im Vergleich.

Quelle: http://epp.eurostat.ec.europa.eu

Aber wie geht es nun den einzelnen Regionen Schottlands? Sind die Highlands zum Beispiel wirklich so arm?

Zunächst eine Überraschung: Unter der Top-20 Regionen mit dem höchsten BIP pro Kopf liegt die Region um Aberdeen auf Platz 12, auf gleicher Höhe mit Oberbayern inklusive München. Aus Großbritannien schafft es in die Top-20 sonst nur London – das allerdings auf Platz eins sitzt. (Kein Wunder. Der Bankenplatz hat so gut wie kaum Einwohner, die meisten pendeln nur zum Arbeiten rein.)

Die West-Highlands gehören dagegen tatsächlich zu den armen Regionen Großbritanniens – aber auch nicht zu den ärmsten, das ist nämlich West Wales mit 17.400 Euro BIP/Kopf. Und schon gar nicht zu den ärmsten Europas. Das wäre eine Region in Polen.

BIP ist nicht alles: Arbeitslosigkeit in Schottland

Klar, was erwirtschaftet wird, sagt nicht unbedingt aus, wie es den Menschen im allgemeinen geht. Ein guter Indikator ist dagegen die Arbeitslosigkeit. Werfen wir ein Blick darauf.

In Schottland liegt die Arbeitslosigkeit bei 7,4 Prozent – zum Vergleichen: Frankreich hat etwa 10, Deutschland 5 und Großbritannien gesamt 7,8 Prozent. Die Highlands liegen was die Arbeitslosenstatistik angeht sogar leicht unter dem Schnitt Schottlands.

Auch hier kann man also sagen, dass Schottland keine exponiert schlechte Stellung einnimmt.

Armut: Wie ist das Geld verteilt in Schottland?

Die Arbeitslosigkeit scheint normal zu sein, doch können die Schotten von der Arbeit leben? Hier zeigt sich ein ähnlicher Trend wie in Deutschland auch: Die Netto-Einkommen vieler Schotten sinken und sie müssen oft mehrere Jobs annehmen oder würden gerne noch mehr arbeiten, finden aber nichts.

Ich habe versucht stets die neusten Zahlen zu eruieren. Allerdings sind viele Auswertungen für 2012 noch nicht da. In den Zeitreihen sieht man allerdings kaum starke Trendwenden, so dass eine gewisse Vergleichbarkeit zulässig sein dürfte.

Insgesamt lebten im Jahr 2010 17 Prozent der Schotten in relativer Armut (Deutschland knapp 16 Prozent). „Relativ“ bedeutet: Gemessen am Rest des Landes in diesem Jahr. Hier ist wichtig zu erwähnen: Die Zahl würde abnehmen, doch die Haushaltskosten wie Mieten und Lebensmittel steigen und verhindern dadurch das Abnehmen der Armut.

Ein weiterer Punkt: Die Kinderarmut ist sehr hoch. Es gibt 13 Bezirke in Schottland, in denen 30 Prozent der Heranwachsenden unter der Armutsgrenze leben. Diese Bereiche gruppieren sich vor allem um Glasgow, Edinburgh und Dundee herum.

Im Schnitt sind es über ganz Schottland gesehen 20 Prozent Kinder, die in Haushalten leben, die weniger als 60 Prozent des Durchschnitt-Einkommens verdienen – die also arm sind. In Deutschland waren es 2011 etwa 17 Prozent, wenn man es nur auf die Einkommen der Haushalte berechnet (die Bundesregierung drückte die Armut durch Sozialleistungen auf 10 Prozent, diese Zahl liegt mir leider für Schottland nicht vor).

Die gute Nachricht: Die Zahl der armen Kinder nimmt in Schottland (ebenso in Deutschland) seit Jahren ab. Die schlechte Nachricht: Viel zu wenig und viel zu langsam.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Schottland weit auseinander. Obwohl: Gerade im Jahr 2011 hat sich dieser Unterschied verringert. Allerdings nicht, weil es den Armen besser, sondern weil es den Reichen schlechter ging. Um das beurteilen zu können, vergleicht man EU-weit den GINI-Koeffizient. Je kleiner der ist, desto gerechter ist da Vermögen des Landes verteilt – bei eins hätten also alle Haushalte gleich viel Geld, bei 100 wäre alles Geld bei einem Haushalt.

Einige GINIs der Jahres 2011 im Vergleich:

Auch hier zeigt sich: Es gibt viel zu tun in Schottland, doch im Vergleich zu Europa nimmt es eine durchschnittliche Position ein.

Fazit: Schottland ist guter Durchschnitt

Whisky, Öl, Lachs, Tourismus sind äußerst wichtig, daneben existiert aber auch noch jede Menge andere, gesunde Industrien, die vorwiegend in die USA exportieren.

Was Armut und Arbeitslosigkeit angeht, liegt Schottland in einem guten Mittelfeld, wenn man sich die EU ansieht und meist noch besser als der Rest Großbritanniens.

Schottland gehört also nicht in das Armenhaus Europas, sondern ganz im Gegenteil zu den Reichen Volkswirtschaften. Aber innerhalb Schottlands gibt es – wie auch in Deutschland – oft große Armut.

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