Der Gedenkstein ist deutlich sichtbar, doch alles andere ist unklar. Denn um den Geburtsort und die Herkunft der Heldin der Highlands zanken sich Wissenschaft und Überlieferung.
Kann es wirklich hier sein? Mein Auto rumpelt über ein Kuhgitter, als ich dem Hinweisschild folge und von der Hauptstraße in eine Einfahrt abbiege. Das hier ist ein Bauernhof und keine Touristenattraktion, eindeutig Privatbesitz. Nach einigen unsicheren und staubigen Metern über das Grundstück rumpelt es ein zweites Mal und am Horizont erscheint tatsächlich ein kleiner Steinkegel – mein Ziel: Das Flora MacDonald Monument auf South Uist.
Mein Reiseführer Äußere Hebriden
Auf 304 Seiten beschreibe ich die Inseln Lewis, Harris, North und South Uist, Benbecula, Barra und Vatersay. Außerdem 7 Touren und 232 Fotos.
Mehr Info hier.
Von diesem Ort also soll die Heldin der Highlands stammen, die sich durch ihre Erlebnisse mit dem Rebellenprinz Charles Edward Stuart auf ewig in die Geschichte Schottlands eingeschrieben hat. Flora gilt noch heute als Sinnbild der kultivierten und mutigen Frau.
Ihr Denkmal erscheint mir dagegen weniger kultiviert. Es steht in den Überresten eines alten Steinhauses, dessen Mauern in etwa hüfthoch aufragen – gerade genug, um Schafe abzuhalten. Eine kleine Holztür, ein Steinkegel, verwitterte Infotafeln und eine Inschrift: “Clan Donald hat diesen Steinhaufen errichtet zur Erinnerung an seine Angehörige Flora MacDonald, Tochter von Ranald, Sohn von Angus von Milton South Uist. Sie wurde 1722 in der Nähe geboren und hat ihr frühes Leben im Haus verbracht, das auf diesen Grundfesten stand. Als die Verfolger sich dem Prinzen auf der Long Island näherten, half sie ihm durch ihre Heldenhaftigkeit und Ausdauer Zuflucht auf der Isle of Skye zu finden.”
Von der Tafel aus lasse ich meinen Blick am Denkmal vorbei schweifen über die weiten Torfwiesen dahinter. Ganz im Westen erahne ich den Sandstrand und den Atlantik. Etwas weiter nördlich fallen Überreste alter Stallungen und Häuser ins Auge. Ein verlassenes Gut oder ein kleines Dorf, vermutlich hinweggefegt von den Highland Clearances.
Hat Flora MacDonald wirklich hier in Milton ihre Jugend verbracht? Die Überlieferungen der Einheimischen legen den Geburtsort nach Frobost, ein Örtchen ganz in der Nähe – somit hätte die Inschrift recht.
Es gibt aber deutliche Zweifel an Milton, wo das Monument steht. Einer, der diese Zweifel gebetsmühlenartig wiederholt, ist Angus MacMillan, Buchautor und Familienforscher auf Benbecula und South Uist. Er wird nicht müde klarzustellen, dass Milton zu Floras Jugendjahren eine Weide war und die Familie tatsächlich in Balivanich auf Benbecula lebte. (Ein Interview zu dem Thema habe ich mit ihm geführt, es ist hier nachzulesen)
Ausgrabungen stützen seine Erkenntnisse. Das Haus und die umgebenden weiteren Fundamente bei Milton datieren auf frühestens 1790 – also eine Zeit, zu der Flora bereits nach einem langen Leben auf Skye zu Grabe getragen wurde. Ältere Gebäude wurden hier nicht gefunden.
Auch alte Quellen zweifeln
Doch wie kommt es, dass fast überall so überzeugt von Milton als Geburtsort gesprochen wird? Dabei wirft schon die Ahnen-Forschung von Angus MacDonald of Killearnan, der die Geschichte der MacDonalds Mitte des 19. Jahrhunderts aufgezeichnet hat, erhebliche Zweifel auf:
“In these circumstances, the natural inference would be to regard Balivanich as the natal soil of the heroine in the absence of documentary proof to the contrary. On the other hand the traditions of South Uist are so positive that we do not feel called upon to disturb the current belief that her birthplace was her father’s residence at Airidh Mhuilinn, or Milton, in the year 1722. “
Zusammengefasst: Weil die Erzählungen so fest verankert sind, wagte er damals nicht daran etwas anderes zu behaupten. Dennoch ist es ebenso möglich und wahrscheinlich, dass Flora zumindest große Teile ihrer Jugendjahre auf Benbecula verbrachte bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater.
Obwohl sich also die Widersprüche in der Geschichtsschreibung häufen, die das Aufwachsen Floras betreffen, sind sich fast alle Webseiten und Reiseführer in der Erzählung über Milton einig. Das liegt wohl daran, dass sie alle vom selben Urheber (Wikipedia?) abschreiben und wenig Zeit für Zweifel haben. Und so zementiert sich eben diese eine Version, während man doch ehrlich sagen müsste: Gewiss ist nichts.
Als ich wieder zurück auf die Hauptstraße fahre, bemerke ich, dass sich zumindest das Hinweisschild in seiner Aussage ganz sicher ist: “Flora MacDonald’s Birthplace” steht da in dicken Lettern.
Ich glaube daran zwar nun nicht mehr, aber alleine schon wegen der Restchance, dass das der richtige Platz sein könnte und ich somit sowohl einmal an Floras Geburtsort als auch schon einmal an ihrem Grab auf der Isle of Skye gestanden wäre, lässt mir den Besuch des Monuments sinnvoll erscheinen.
Anfahrt:
Mit Navigationsgerät: “HS8 5RY” bringt einen grob in die Gegend. Dort auf die Schilder achten.
Ohne Navi: Die Hauptstraße der Insel ist die A865. Wenn man vom Norden kommt, passiert man zuerst das Kildonan Museum, dann erscheint wenige Meter später das braune Hinweisschild zu “Flora MacDonald’s Birthplace”. Hier rechts abbiegen und erst über das Grundstück fahren. Dann kommt das Monument in Sichtweite. Von Süden her passiert man zuerst “Gearraidh Bhailteas (Milton)”, ehe das braune Hinweisschild auf der rechten Seite erscheint.